Punkt I – Spengler: Warum eigentlich?
„Die großen unlösbaren Probleme drängen nicht herein, ängstigend und schwer auf dem Herzen lastend, sondern sie sind da, mit Selbstverständlichkeit in einer ausgeglichenen Welt, zu der sie gehören wie die lichten Wolken am Sommerhimmel, als Gefährten, deren
Gegenwart das Leben im Vorübergehen verehrend fühlt.“
Diese Worte schrieb Spengler über die Gedichte Willi Schmidts. Er dachte dabei wohl auch an sich selbst. Die Tragik des Lebens tief und ehrlich fühlen, aber eben nur im Vorübergehen, weiterschreiten auf dem Weg der Leben heißt, der unabänderlich ist und angesichts dessen es heißen muss: Es ist eben so. So wäre er gern gewesen. So war er aber nicht.
„Das sagte er, weil es ihm weh tat, in einer spöttischen Form, mit welcher er seine Leidenschaft geißelte, und mit dem unerfüllbaren Verlangen, mitten aus der Zeit ein verführerisches Bild der Zukunft zu erhalten, das im Gegensatz stand zu dem, welches ihm angeboren war.“
So schreibt Spengler über Nietzsche und beschreibt diesmal nun tatsächlich auch sich selbst. Spenglers spöttischer Ton, seine scharfe Zunge sind unverkennbar, unterhaltsam und manchmal nicht ganz ehrlich. Denn Spengler ist jemand, der hinter und zwischen den Zeilen immer ehrlich leidet, weil er ehrlich liebt. Und das ist mit ein Grund wieso es lohnt Spengler zu lesen. In ihm findet man einen wortgewaltigen Leidensgenossen, der Literatur, Musik, Malerei, Lyrik kurz: Ausdruck einer, unserer, Kultur, kennt und ihre schönen Blüten geradezu verehrt. Spengler lesen bedeutet, in großer Tragweite zu begreifen, was man im Begriff ist zu verlieren.
So lähmend sein zyklisches Geschichtsbild für viele auch sein mag, aber das ist Ansporn. So wie Spenglers Gefühl für die „Triebfedern der Geschichte“. Willenskraft, Ehrgefühl, Krieg, Einsamkeit, Seelentiefe und die Höhen eben dieser, sterben und davor wirklich leben, nicht nur atmen. Er fängt sie mit seinen Worten ein und macht sie sichtbar. Denn Spengler ist ein
Mann fürs Große. Auch hier wäre er selbst vielleicht gerne anders, kühler, technischer, wissenschaftlicher, waren ihm selbst diese Eigenschaften doch so wichtig.
„Wenn unter dem Eindruck dieses Buches sich Menschen der neuen Generation der Technik statt der Lyrik, der Marine statt der Malerei, der Politik statt der Erkenntniskritik zuwenden, so
tun sie, was ich wünsche.“
Der studierte Naturwissenschaftler, 1880 geboren und das selbst immer als zu spät empfunden, der von der Schönheit der Eisenbahn schwärmt, dessen Werk aber kein Blick durchs Mikroskop, sondern ein Schlachtengemälde ist. Nicht mehr in der faustischen Kultur verhaftet und noch nicht in der ihrer Zivilisation angekommen, eine Chimäre zwischen den Zeiten also vielleicht gar ein Beweis für seine eigene Theorie? Eines ist sicher: Spengler ist, um mit einem Bild Walther Benjamins zu sprechen, weder Chirurg noch Kameramann, er seziert nicht und fängt die Tatsachen nicht exakt mithilfe eines mechanischen Apparats ein. Er dringt nicht in das Gewebe der Geschichte ein, er überfliegt sie aus seiner Zeit heraus in teils schwindelerregender Höhe, in welcher so manches zu verschwimmen droht und malt dabei Bilder mit breitem Pinsel und kräftigen Farben. Spengler ist Magier und Maler. Das ist die systematische Schwäche und die expressive Stärke seines Werks.
Punkt II – Geschichte, Gegenwart und der faustische Mensch.
Viele große Namen spürten früh die Entwicklung des Zeitgeists hin zum streng Organisatorischen, zum Unsinnlichen, hin zum Weltzustand, der von Magie befreit ist. Spengler sah die Ursache für diesen Weltzustand im Geist des abstrakten, faustischen Menschen, der in die Zivilisation eintritt. Andere verstanden die Entwicklung umgekehrt: nicht der faustische Mensch erschuf die Moderne, nein sie gebar ihn. Für die Letzteren heißt der Baum, der die Früchte der Gegenwart trägt, Menschheitsgeschichte. Die Moderne als Produkt einer aufbauenden Abfolge an Ideen. Für Spengler allerdings ist die Geschichte kein Baum, sie ist ein Garten, in dem Pflanzen, Kulturen also, wachsen und vergehen. Jede mit ihrem eigenen Aussehen, Farbe, Blattform und alle gebunden an das Gesetz der Erde, welches heißt: Auf Geburt folgt Tod. Und dazwischen lebt jeder auf seine Weise. Diese als völlig abgeschottet zu verstehen, wäre zu kurz gegriffen. Gib einem alten Griechen einen Stab und er zeichnet mit diesem Kreise in den Sand, gib dem faustischen Menschen denselben Stab und er wird daraus ein Fernrohr bauen. Denn kein Volk kann mit der Seele eines anderen denken, weshalb eine Idee in uns immer etwas anderes zum Schwingen bringen wird als im antiken Menschen. Weil es laut Spengler keinen Mensch an sich gibt, nur Menschen ihrer Zeit
und die Moderne ist unsere. Wie also umgehen mit dieser Zeit, deren ätzende Wirkung auf die Kulturseele so offensichtlich ist. Besucht eine Kunstuniversität und erklärt, dass wir es nicht mit einer Kultur zu tun haben,
die nun endgültig die Windeln anhat und auf den Gnadenschuss wartet! Genau deshalb würde Spengler sagen: Legt den Schlachtschussapparat an und drückt ab! Versucht euch nicht mehr an der Kultur, euch fehlt der Sinn. Aber was ihr noch könnt, das macht gut. Erobert das Weltall, beherrscht die Meere, werdet große Feldherrn. Trainiert eure faustische Spätnatur!
Ein Spengler-Zitat dem gemäß:
„Zu einem Goethe werden es die Deutschen nicht mehr bringen, aber zu einem Cäsar.“ Dies ist für ihn das zivilisatorische Gebot an den faustischen Menschen. Es ist ein gefährliches. Denn die faustische Seele, der abendländische Mensch, ist willensstark und will immer mehr und mehr, am Ende gar den Sieg über Gott und die Natur. Mit Spenglers Worten:
“Eine kleine selbst geschaffene Welt, die sich wie die große von selbst bewegt und nur dem Menschen gehorcht. Selbst eine Welt erbauen, selbst Gott sein- das war der faustische Erfindertraum, aus dem von da an alle Entwürfe von Maschinen hervorgingen.“
Und…….
„die Welt selbst wird mit dem Geheimnis ihrer Kraft als Beute davongeschleppt, hinein in den
Bau dieser Kultur.“
Düster wäre es, würde sich der faustische Mensch diesen Traum erfüllen. Es würde das Ende bedeuten. Der Garten der Geschichte würde durch die Macht der Technik zementiert oder der Geschichtsbaum würde gefällt werden, was macht das schon für einen Unterschied. In beiden Fällen: statt der lebendigen Abfolge von Kulturen eine einheitliche, graue Fläche, Nach
Geschichte und Lebensfeindschaft durch den faustischen Frankenstein und seine Kreatur, den Gott aus der Maschine, der ja doch keiner ist. Würde es Spengler widerlegen? Sicher. Irgendwie. Aber der Technik wohnt ein Eigenleben inne und nicht umsonst trägt eine Nachlasssammlung den verteidigenden Titel „Ich bin kein Prophet“. Außerdem hält das zyklische Geschichtsbild mit Blick auf die Vergangenheit Widerspruch aus. Besser wäre es. Den Untergang überlebt man, das Ende der Geschichte nicht.
Punkt III – Eine Frage, eine Antwort.
Die Frage: Sind wir, die im rechten, umzingelten Lager versammelten sind, ein Lucidum intervallum einer kranken, alten Kulturseele? Eine Erinnerung an vergangene Jugend, an Schärfe und Tatkraft, aber eben nicht mehr als das: ein bloßes Aufflackern vor dem inneren Auge, ohne die Kraft, den Arm zu heben. Oder: politischer Mut und entschiedener Widerstand ohne die Macht, die Verhältnisse wirklich noch zu ändern. Die letzte, hilflose Klarheit des Geistes? Liegt das Maximum unserer Möglichkeiten darin, geistige Klöster zu bilden, um so dicht an dicht gedrängt in kleinen Gruppen die Wirren der Zeitenwende zu überstehen? Pessimums? Oder die Anerkennung des Faktums Sterblichkeit. Nichts Weltliches währt ewig. Wieso sollten wir die Ausnahme sein? Das sind Gedanken, die sich bei der Lektüre Spenglers aufdrängen müssen. Es sind Gedanken, die bitter sind und (offensichtlich) keine politische Mobilisierungswirkung entfachen können. So schmerzhaft es ist, sie haben jedoch ihre Berechtigung. Das Naturgesetz der Sterblichkeit durchzieht das einzelne Leben und die gesamte Geschichte. Niemand hier kann ausschließen, dass wir uns in den letzten kollektiven Atemzügen befinden. Wenn es so wäre, was tun? Sich gehen lassen? Sich im morschen Fleisch verlieren, alle Mühe, alle Spannung fahren lassen? Weil es ohnehin nichts bringt? Spengler fände das zutiefst erbärmlich. Er gibt
eine Antwort:
„Wir sind in diese Zeit geboren und müssen tapfer den Weg zu Ende gehen, der uns bestimmt ist. Es gibt keinen andern. Auf dem verlorenen Posten ausharren ohne Hoffnung, ohne Rettung, ist Pflicht. Ausharren wie jener römische Soldat, dessen Gebeine man vor einem Tor in Pompeji gefunden hat, der starb, weil man beim Ausbruch des Vesuv vergessen hatte, ihn abzulösen. Das ist Größe, das heißt Rasse haben. Dieses ehrliche
Ende ist das einzige, das man dem Menschen nicht nehmen kann.“
Er hat mit einem, sollte es nicht zur Zementierung durch die Technik kommen, sicher recht: Alles geht einmal zu Ende und immer wieder geht die Sonne auf, kommt der Frühling. Am Ende ist es unerheblich, ob er mit Blick auf Österreich, Deutschland und Europa jetzt schon recht hat oder erst in hundert oder tausend Jahren. Was immer gilt, was Spengler unbedingt
fordert angesichts widriger Umstände, jetzt und dann, ist genau dieses Bild vom Soldaten in Pompeji. Niemals aufgeben, niemals auf Knien, selbst wenn der Gegner das Leben selbst ist. Es ist der Zauber dieser Kämpfe, dass, wer sie schaut, sie auch kämpfen muss. Wir sehen, also sind wir hier. Daher: Was bleibt ist Weitermachen und das stolz aufrecht stehend.
Aus Prinzip und egal was kommt.