Wer sind wir? Woher kommen wir? Wo wollen wir hin? Diese drei grundsätzlichen Fragen der Philosophie stellte sich Werner Sombart immer wieder in seiner Lebenszeit. Drei Fragen, die zu seiner Zeit alles andere als leicht zu beantworten sind. Liberalismus, Sozialismus, Faschismus – diese drei politischen Strömungen prägen die Landschaft an der Schwelle zum kurzen 20. Jahrhundert, das er miterlebt. Wie kann es einem Denker in dieser Zeit gelingen weder verwirrt noch widersprüchlich zu wirken?
Doch zurück zum Anfang. Wer ist Werner Sombart eigentlich? Was sind seine Gedanken und Theorien? Und was veranlasst Rolf Peter Sieferle, ihn als verwirrend und widersprüchlich zu bezeichnen? Sombart wurde am 18. Januar 1863 in Ermsleben geboren und wuchs in einem nationalliberalen Elternhaus auf. Er studierte Jura, besuchte aber auch Vorlesungen in Nationalökonomie und promovierte schließlich bei Gustav Schmoller, einem Ökonomen, Sozialwissenschaftler, Vertreter der historischen Schule der Nationalökonomie und Gründungsmitglied des Vereins für Sozialpolitik.
Das Zeitalter der Sozialwissenschaften, um es polemisch zu formulieren, ist in der Tat angebrochen. Die Menschheit steht vor und mitten in entscheidenden Umbrüchen und braucht die Soziologie, um die modernen Gesellschaften erklären und deuten zu können. Natürlich kann man nicht davon ausgehen, dass diese Umbrüche, als das Ende einer gigantischen Epoche, bereits erkennbar sind. Klar ist aber, dass die Abschaffung der Stände und die Gründung der Nationalstaaten den Menschen mit ahistorischen Prozessen konfrontieren. An dieser Stelle geht Oswald Spengler einen Schritt weiter und beschreibt den zu Ende gehenden Zyklus als den “Untergang des Abendlandes.”
Zurück zu Werner Sombart: Um einige seiner wichtigsten Gedankengänge zu erklären, sollte man vielleicht einen Blick auf den Vorwurf seines Doktorvaters Schmoller, Sombart verherrliche den Kapitalismus, werfen. Tatsächlich war Sombart in seinem weltanschaulichen Denken schon früh von Karl Marx beeinflusst. Kapitalismus- und Kulturkritik sowie die Ablehnung der ökonomischen Dynamik der modernen Gesellschaft finden sich in Sombarts Werk. In einem Punkt unterscheidet er sich jedoch gravierend von Marx: Das Übergangsstadium des Kapitalismus soll bei ihm, anders als bei Marx, nicht durch eine Revolution, sondern durch sozialpolitische Lösungen überwunden werden.
Der Grund, warum Schmoller diesen Vorwurf gegen ihn erhebt, liegt aber vor allem darin, dass Sombart – wohlgemerkt der vom klassischen Marxismus abgewichene Sombart – das rückständige und „formlose“ Handwerk ablehnt. Er hält den Kleinkapitalismus für ein akzeptables Durchgangsstadium, das sowohl bei konservativen als auch bei progressiven Kulturkritikern Entsetzen und Abscheu hervorruft. Ein kurzes Beispiel soll diese Problematik verdeutlichen: Nehmen wir an, ein Handwerksbetrieb arbeitet zunächst nach dem Bedarfsdeckungsprinzip, rüstet dann aber auf und wird zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten in der großen Liga. Nun arbeitet er nach dem Erwerbsprinzip und ist damit ein Kleinkapitalist. Ein anderes, ähnliches Unternehmen hat dann buchstäblich die Qual der Wahl, sich vom Großkapital umbringen zu lassen oder ebenfalls Kleinkapitalist zu werden und sich widerstandslos dem System zu unterwerfen. Der konservative Kulturkritiker sieht darin den Untergang des traditionellen und lokal gefärbten Handwerks. Für den Progressiven ist es ein allzu bequemes Übergangsstadium, in dem man vielleicht zu lange verharren will, bevor man in die nächste Phase eintritt.
Sombarts Trennung von Karl Marx erfolgte um die Jahrhundertwende, als er sich dem rechten politischen Spektrum zuzuwenden begann. Eines seiner Hauptprobleme mit dem Sozialismus war, dass dieser seiner Meinung nach im Kapitalismus ein „Ernährungsproblem“ sah, die Kritik also ausschließlich materiell orientiert war. Es ist kein Geheimnis, dass rechte Gedanken ohnehin nicht mit Marx vereinbar sind – um es auf den Punkt zu bringen, kann man vor allem den historischen Materialismus und das Ziel einer egalitären Gesellschaft als unüberschreitbare Grenze markieren. In seinen Werken aus dieser Zeit erkennt er die Notwendigkeit, über die Grenzen der bürgerlichen Welt hinauszublicken und eine transzendentale Weltanschauung zu entwickeln. Er wendet sich von seinen gesellschaftspolitischen Lösungsvorstellungen ab und erkennt bestimmte Werte wie „Leben“ und „Kultur“ an. Ein fast psychologisches Porträt der Mentalität eines Kapitalisten zeichnet er in „Der Bourgeois“, wo er den Frühkapitalisten als vitales Subjekt beschreibt, das im Handel einen agonalen Reiz sieht. Im Laufe der Zeit beginnt dieses Prinzip jedoch völlig zu entarten, und aus dem agonalen Reiz wird ein rationalisierter und bürokratisierter Prozess, in dem der moderne Mensch mitmahlen muss, um nicht selbst zermahlen zu werden.
Schon an dieser Stelle entsteht der Eindruck, Sombart hätte sich von Nietzsche inspirieren lassen und der Verdacht lässt sich schnell bestätigen. Sieferle zitierte in „Die Konservative Revolution“ die folgende Passage aus „Händler und Helden“, die fast mit dem Wortlaut aus Nietzsches Zarathustra ident ist:
„Wir hatten die feste Überzeugung, daß es mit der Menschheit zu Ende sei, daß der Rest ihres Daseins auf der Erde ein überaus unerfreulicher Zustand der Verpöbelung, der Verameisung sein werde, daß der Händlergeist sich überall einzunisten im Begriff stehe, und daß ,die letzten Menschen‘ heraufkämen, die da sprechen: wir haben das Glück erfunden und blinzeln.“
Um generell einen kurzen Blick auf „Händler und Helden“ zu werfen, kann gesagt werden, dass Sombart in diesem Werk verschiedene ethnische Charakter mit ebendiesen zwei Kategorien verbindet. Juden und Florentiner und Engländer sind für ihn die Händler und die Deutschen, die Helden, die ihrer Bestimmung wieder treu werden müssen. Dabei geht es ihm nicht um eine Übertragung des deutschen Heldengeists auf andere Völker, ganz im Gegenteil beschreibt er in fast schon ethnopluralistischer Manier, dass dies nur für den Deutschen bestimmt sei, denn „Heldentum kann man nicht wie Gasleitungen an jede beliebige Stelle der Welt verlegen.“
Nach dem ersten Weltkrieg stürzt er sich dann in eine Form von „reaktionärer Midlife-Crisis“, in der er von alten Wirtschaftsformen fantasiert und einen geistigen Spaziergang durch ein romantisches Bildnis aus neuen Agrargesellschaften macht. Auf diese Zeit folgt 1934 ein erneuter Umschwung zur Vitalität und er versucht mit seinem Werk „Deutscher Sozialismus“ einen erneuten Durchbruch. Dort rechnet er mit dem Marxismus wie auch mit der Sozialdemokratie ab und plädiert für eine Aufhebung des Primats der Ökonomie und der Technik. Sozusagen sollen sie wieder zu Werkzeugen der Gesellschaft werden und nicht ihren Sinn konstituieren. In seiner Vorstellung kann das mithilfe einer Planwirtschaft, die auf nationalen Werten fußt, erreicht werden.
Obwohl diese Gedanken auf den ersten Blick eine gewisse Ähnlichkeit mit den Konzepten der NS-Zeit aufweisen, kann Sombart dort nicht mehr Fuß fassen. Zum einen ist er dem Nationalsozialismus, der sich als revolutionär, modernisierend und futuristisch versteht, zu reaktionär. Andererseits kann er sich mit dem für diese Ideologie charakteristischen biologischen Naturalismus nicht identifizieren und lehnt ihn als zu materialistisch ab. Als seine Bemühungen, die nationalsozialistische Bewegung in Richtung seiner utopischen Vorstellungen zu drängen, scheitern, zieht er sich endgültig in die Einsamkeit seines Arbeitszimmers zurück.
„Das ist das Ende Deutschlands!“, so lautet seine Reaktion am 1. September 1939, dem Tag, an dem Deutschland Polen überfällt. Kaum zwei Jahre später stirbt er am 18. Mai 1941 in Berlin.