Wirklich gesunde Gesellschaften sind auch körperlich fit. Die Sicht auf
körperliche Fitness als bloß private Beschäftigung oder Hobby ist zutiefst
modern. Von klassisch-republikanischen Stadtstaaten, Sparta bis zu den
napoleonischen Befreiungskriegen, und noch heute, hat ein kultureller
Vitalismus politisches Potenzial, das genutzt werden sollte.

In Xenophons Memorabilia ermahnt Sokrates einen jungen Mann namens
Epigenes:

“Es ist eine Schande, durch bloße Unachtsamkeit alt zu werden, bevor man
sieht, was für ein Mensch man werden kann, wenn man seine körperliche Kraft und Schönheit bis zu ihrer höchsten Grenze entwickelt. Aber das kann man nicht sehen, wenn man nachlässig ist; denn es kommt nicht von selbst.”

(Memorabilia 3.12.8)

Der Schritt ins Fitnessstudio muss nicht bloß individuelle, nihilistische
Selbstverbesserung bedeuten, wie etwa im Beispiel von Sebastian Schwaerzels Schizoid Man, sondern er hat auch das Potenzial, Gemeinschaften zu stärken. Starke politische Körper, geschlossene Körperschaften leiden nicht an einer scheinbaren Isolation, sondern
verbessern ihr internes Gewebe. Jemand, der diese organizistische politische Ansicht äußerst ernst nahm, war der Philologe, Theologe und Gymnastik-Pionier Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852).

Als Tyler Durden des 19. Jahrhundert und “Turnvater” einer ganzen Nation
gründete mit seinen Freunden den geheimen Deutschen Bund, war Mitinitiator der Urburschenschaft und Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. In seinen Turnvereinen waren sowohl Frauen als auch Männer erlaubt. Als politisch Liberaler mit nationalistischem Eifer forderte Jahn Rede- und Meinungsfreiheit und ein geeintes Deutschland, frei von ausländischen Einflüssen wie der Kontrolle, der es unter dem Ersten Französischen Kaiserreich ausgesetzt war.

Um diese und weitere Ziele, wie eine repräsentative Regierung, eine
Verfassung, und das allgemeine Wahlrecht für Grundbesitzer zu erlangen,
erarbeitete er ein Programm allgemeiner psychophysischer Ertüchtigung der
deutschen Jugend. Auch durch den Einfluss des deutschen Idealismus, allen
voran Johann Gottlieb Fichte, sah er in der Gesundheit des Körpers die
unauschließbare Bedingung der gesamtseelischen Entwicklung. Aus dem
Geiste des Wanderns entstand schließlich Jahns Praxis des Turnens. Damit
sind viele verschiedene Leibesübungen gemeint: Spiele, neuentwickeltes
Geräteturnen mittels Männerbarren, Ringen und Reck, Fechten, altbewährtes Wandern und Schwimmen. Ein weiteres wichtiges Anliegen von Jahn war auchdie Reinheit, das heißt Achtung der deutschen Sprache. Sein Appell:

“Deutsche, fühlt wieder mit männlichem Hochsinn den Wert eurer edeln
lebendigen Sprache, schöpft aus ihrem nieversiegenden Urborn, grabet die alten
Quellen auf, und lasset Lutetiens stehende Lache in Ruhe!“

In nach-napoleonischer Zeit wurde er aber im Zuge der Karlsbader Beschlüsse und Demagogenverfolgung festgenommen, die quasi-militärische Bohème der jungen “progressiven” Gymnasten aufgelöst, und öffentliche gemeinschaftliche Leibesübungen verboten. Man wollte verhindern, dass sich gewisse politische Energien bilden. Die “Feinde der Freiheit” haben sich zumindest zeitweise durchgesetzt. Mitglieder der Turnerbewegung waren auch unter den Revolutionären von 1848-49 überproportional vertreten.

Jenseits von “Augenlust” und “Fleischeslust”, sprachlichen Überresten einer
uns fremden stärkeren Disziplin, ist die Verschönerung und Stärkung des
Körpers nicht bloß ein ästhetisches Programm, das in privaten
Fitnessobsessionen enden muss, sondern diente als Vorbereitung auf einen
zukünftigen Befreiungskampf. Falls Konflikte ausbrechen, oder zur bloßen
alltäglichen Selbstverteidigung haben fittere Exemplare unserer Spezies eine
bessere Überlebenschance, und sind auch fähiger ihren Kameraden zu helfen.

Eine Frage der Moral?
Körperliche Ertüchtigung ist immer auch moralische Bildung. Ästhetik, auch
Ethik. Es ist nicht schwer ersichtlich, wie gerade im übersozialisierten, “gut
meinenden”,
scheinbar progressiven Lager versucht wird natürliche und gesundheitsgebundene Schönheitsideale aufzuheben. “Bodypositivity” ist nur ein weiterer Fall von pathologischer Höflichkeit. Ein Fokus auf Disziplin sei ja grenzwertig, Zucht ohnehin faschistisch und Schönheit nur eine Unterdrückung durch Konvention. Epigenes könnte versuchen Sokrates wegen “Bodyshaming” zu canceln.

Es gibt nicht nur den Begriff “Heteronormativität”, sondern auch den der
“Salutonormativität”. Die Erwartungshaltungen und Norm der Gesundheit als solches steht hier in Frage. Angesichts der Aussendung von “Gruppentherapien” an so mancher Universität wäre es nicht unangebracht, die Erwartung der Gesundheit zumindest bei Teilen der Studentenschaft zu verlieren. Ähnlich der Unschuldsvermutung. Gewisse Weltanschauungen werden ihre Vertreter zwar nicht unmittelbar verwahrlosen, sondern hässliche Menschen fühlen sich wohl instinktiv und mimetisch vom “kritischen” Hinterfragen und der Relativierung von Schönheitsidealen angezogen. Selbsthass beginnt auch in der Physis, und “Sklavenaufstand” gibt es auch in der Werbung und Mode. Das “Körperprivileg” oder “pretty privilege” soll fallen. Vielleicht mal Zucht statt Therapie? Vielleicht war am Anfang doch nicht das Wort, sondern die Tat?

Wie auch die nationale Identität sollte auch die eigene Persönlichkeit nicht
bloß in Schrift beschrieben werden, sondern auch biologisch untermauert oder überhaupt gebildet werden. Mystische fleischlich-seelische Verwirrungen, Dysmorphien verschiedener Ausprägungen, wären die Folge von solche Missverständnissen. Weltanschaulich und zur Persönlichkeitsbildung gibt es auch tiefere Reserven der abendländischen Kultur, die man anbohren könnte, aus denen der Europäer immer Nährstoff gewann: die Exzellenz des alten Griechenlands, insbesondere auch die Tugendlehre des Aristoteles. Eine junge Erde könnte noch viele Blüten hervorbringen. Ich denke, sie existiert, aber nur, um sie freizuräumen, ist eine Arbeit zu leisten, die auch mithilfe des Körpers zu verrichten ist. Wie auch der Preuße Jahn im Kampf gegen Napoleon wusste, sind für das Aufrechterhalten der nationalen Souveränität tiefe psychophysische Reserven nötig. Das Turnen war seine Art der Stählung, um in der breiten Bevölkerung ein Gefühl der Solidarität und des Patriotismus
zu schärfen.




Teilen